Tag 52: Schwere

Heute fühle ich mich schwer, so als hätte ich Gewichte an den Beinen und Armen. Das werte ich mal als freundlichen Hinweis meines Körpers, dass ich mich doch bitteschön schonen soll - nett gemeint, allerdings: Ich bin eigentlich den ganzen Tag in Aktion: Um 6:00 klingelt der Wecker, meistens liege ich dann schon einige Zeit wach. Nach ein paar Minuten schäle ich mich aus dem Bett und stelle fest, dass es jeden Morgen etwas weniger hell draußen ist - die Tage werden kürzer. Ich mag das ja nicht so gern, aber es passt irgendwie zu meiner Stimmung. Dann: Sonja erstmalig wecken, runter gehen, Teewasser aufsetzen, Pausendose für Sonja vorbereiten, Sonja zweitmalig wecken, Brot schneiden, Frühstückstisch decken, Sonja letztmalig und mit Nachdruck wecken. Dann frühstücken wir kurz zusammen, anschließend bringe ich Sonja zum Bus und hänge die erste Hunderunde an. Nach einer Stunde komme ich zurück ins leere Haus und beginne mein Tagwerk. Es besteht immer aus einer Mischung aus Arbeit, Hausarbeit und Behördenkram, letzterer ist immer noch nicht zu 100 Prozent erledigt.  

Mittags kommt Sonja aus der Schule - ich bin froh, dass sie die Busfahrten zur und aus der Schule schon so gut alleine meistert. Wir essen zusammen zu Mittag und der Nachmittag vergeht dann auch irgendwie: Sonja erledigt ihre Hausaufgaben - derzeit ist es noch nicht so viel. Sonjas Nachmittagstermine von früher haben wir erstmal stark reduziert: Schwimmunterricht und Gitarrenunterricht sind erstmal genug Programm, wie wir beide finden. Wir wollen unseren neuen Alltag ganz bewusst langsam angehen. Meine Nachmittage ähneln den Vormittagen: ein wenig Arbeit, zwischendurch die Waschmaschine ein- und wieder ausräumen, unsere Hundedame ausführen und irgendwelches Zeug für irgendwelche Ämter, Banken oder Versicherungen ausfüllen. Nebenher versuche ich, an einigen Stellen im Haus aus- und umzuräumen. Ich war ja bis dato so gut wie gar nicht Hausmann und durchlaufe diesbezüglich gerade eine steile Lernkurve. 

Ich will nun wirklich nicht rumjammern: Viele Alleinerziehende haben deutlich mehr Stress als ich, haben reguläre Vollzeit-Arbeitswochen ohne Homeoffice, haben finanziellen Druck und/oder viel jüngere Kinder, manche haben Stress mit dem/der Ex - nun, den gibt es wenigstens bei mir nicht. Aber ich merke, ich bin einfach null komma null belastbar - die Traurigkeit, Schwermut und Sehnsucht liegen wie ein bleierner Mantel auf mir. Am liebsten würde ich mich bis Jahresende ins Bett verkriechen. Ich ärgere mich über die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Leben und zudem über jedes noch so unwesentliche Missgeschick, das mir dazwischenkommt: 

Vor ein paar Tagen hätte ich fast einen Termin bei Sonjas Augenärztin vergessen, gestern habe ich Sonjas Schwimmabzeichen verlegt und heute morgen habe ich meine Nachttischlampe runtergeworfen - der Schirm ging in die Brüche. Scherben, so heißt es, bringen doch Glück, oder? Ich wäre gerne irgendwann wieder glücklich!!!

Kommentare

  1. Vergleich dich als verwitweter Alleinerziehender nicht mit anderen Alleinerziehenden. Ich bin Alleinerziehende mit Vollzeitarbeitsstelle, rezidivierender Autoimmunerkrankung und autistischem erwachsenen Sohn neben zwei Töchtern. Allein das ist schon sehr herausfordernd. Obendrauf kommt meine Trauer und die der Kinder. Die Trauer ist raum- und zeitfordernd und sehr erschöpfend. Haushalt ist mein täglicher Struggle und ich kapituliere regelmäßig. Zusätzlich hatte ich im ersten Jahr ein regelrechtes Witwen-Matsch-Hirn. Meine Konzentrationsfägigkeit war gegen Null gefahren und ohne Merkzettel ging nichts. Unwesentliche kleine Missgeschicke konnten mir den Tag ruinieren.
    Da kommt wieder Glück. Auf leisen Sohlen und verändert. Aber es kommt.

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