Tag 1: Viele Anrufe und die Tränen meines Kindes

Da ist er also: mein erster Tag als Witwer und alleinerziehender Vater. Nach dem Tod setzt sich erstmal eine Mühle in Gang: Ich habe einen Termin bei einem Bestattungsinstitut. Veronika hat ihr Leben lang alles vorbereitet - so hatten wir schon im Juni 2023 einen Termin bei einer Bestatterin in unserer Nähe wahrgenommen, um das wohl Unvermeidliche zu planen. 

Ich muss aber noch etwas erzählen: Gestern habe ich meine geliebte Veronika kalt und leblos in der Klinik gesehen, die Augen geschlossen, das Gesicht erschlafft, knochig und unglaublich weit weg. Ich kann es nicht beschreiben, wie schmerzhaft es war: Es hat so höllisch wehgetan sie so zu sehen und gleichzeitig zu verstehen: Sie wird nie wieder lachen und sie hat - frei nach Michelangelo Buonarrotti - die Räume gewechselt. 

Von einer Freundin der Familie habe ich dann erfahren, wie ihr letztes Zusammentreffen mit Veronika war - ich möchte nicht alles hier wiedergeben - aber mir wurde klar: Sie wollte gehen, sie hat die höllischen Schmerzen nicht mehr ertragen, sie hat die erzwungene Hilflosigkeit nicht mehr ausgehalten und sie sehnte sich nach einem besseren Ort. Ich wünsche dir, liebe Veronika, dass du dort angekommen bist und hoffe, dass wir uns wiedersehen. Ich bin kein besonders religiöser Mensch - aber ich habe ihr noch so viel zu erzählen.

Meine Tochter hat heute, am ersten Tag ohne Mama, ein paar Weinkrämpfe bekommen, die für mich markerschütternd waren und ich wünsche keinem Vater und keiner Mutter, sein Kind so herzzerreißend weinen zu sehen. Das war für mich noch schlimmer, als der Anblick meiner toten Frau - nie habe ich mich so hilflos gefühlt.

Zum Nachdenken komme ich indes nicht: Dauernd klingelt das Telefon, darunter auch noch Leute, die sich erkundigen, wie es ihr geht. Am Abend bin ich einfach nur müde - so wie schon lange nicht mehr.

Kommentare

  1. Ohje ich lese gerade Ll die Zeilen. Ich danke dir für diese Offenheit. Ich sehe die Sehnsucht und die Liebe zu deiner Frau.. Wie gerne würde ich mehr tun als einfsch nur Mitgefühl zu zeigen doch durch die Trauer musst ihr und niemand kann euch den Schmerz nehmen, doch sie dir sicher ein kleines bisschen glauben an Gott reicht auch und er wird euch helfen. Deine Frau ist nun N einem besseren Ort und sie wird ohne Schmerzen sein. Klar seht ihr euch wieder. Viel Kraft uns auch vertrauen euch.

    AntwortenLöschen
  2. Als mein Mann starb, waren unsere Kinder 13, 19 und 21. Mein Sohn, Autist, war dabei, als uns der Arzt im KH, die Nachricht offenbarte. Er hat es stoisch und ruhig aufgenommen und bis heute kaum eine Träne vergossen. Meinen Töchtern musste ich die Nachricht selbst überbringen. Die Jüngere stieß mich sofort von sich weg, wollte es nicht wahrhaben und verbarrikadierte sich in ihrem Zimmer. Die Ältere wohnte damals schon allein, freute sich über unseren unangekündigten Besuch und brach mir dann tränenaufgelöst zusammen. Auch wenn mein Verstand mir sagt, dass mein Mann nichts für oder gegen seinen Tod konnte, nehme ich ihm bis heute übel, dass er mir diese Aufgabe aufgehalst hat: Den Kindern zu sagen, dass ihr Papa tot ist. Es ist das Schrecklichste und Zerstörendste, was ich je durchleben musste, fast schlimmer als sein Sterben. Und jetzt im dritten Jahr, nachdem sich so einige Trauerwellen geglättet haben, stehe ich oftmals hilflos und zutiefst verletzt vor meiner Jüngsten, wenn sich ihrer Trauer mal wieder in Vorwürfen und einem Gefühl des Unverstandenseins Bahn bricht. Ist sie doch diejenige in der Geschwisterkette, die am wenigsten Zeit mit Papa hatte und ihm deshalb umso mehr nacheifert und eifersüchtig auf ihre Geschwister blickt. Und ganz Teenager-untypisch fast maßlos gemeinsame Zeit und Unternehmungen mir mir einfordert, um Erinnerungen zu schaffen, da sie jetzt die Erfahrung hat, wie schnell es möglich ist, dass ein Elternteil wegstirbt. Alleinerziehend zu sein ist eine Herausforderung, verwitwet und alleinerziehend zu sein, hat eine gänzlich andere Dimension. Zur eigenen Trauer, die durchlebt werden will, kommt obendrauf, seine Kinder möglichst empathisch in ihrer Trauer begleiten zu wollen und ihnen einen guten Start ins später eigenständige Leben zu ermöglichen. Sämtliche Entscheidungen sind für sie alleine zu treffen, da ist kein anderer Elternteil mehr, der sich einbringen könnte. Auch wenn der Alltag wieder halbwegs funktioniert, wir uns Wohlfühloasen erschaffen, fühle ich mich die überwiegende Zeit seit dem Tod meines Mannes schlichtweg erschöpft. Ich wollte dieses Leben so nie, aber mir war sofort klar, ich will und werde das schaffen. Für mich und die Kinder. Und so bin ich auf meinem Weg.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Am meisten gelesen

Tag null: Drei Anrufe

Tag 6: Brief an Veronika