Tag 13: Wieder im Zug

 

Sonja, Isa, ICE
Während ich das hier schreibe, sitze ich mit Sonja (und natürlich Isa) im ICE Richtung Norden. Sonja hat sich gewünscht, nochmal ein paar Tage nach Husum zu fahren, von wo wir ja wegen Veronikas Tod - zu spät - nach Göttingen zurückgekehrt waren. Obwohl es sich für mich sehr komisch anfühlen wird, mich dort zu bewegen, wo ich vom Tod meiner Frau erfaren musste, komme ich Sonjas Wunsch nach - vier Tage werden wir dort bleiben.

In diesem Zusammenhang muss ich eine Geschichte erzählen, die mich so berührt hat, dass bei mir letzte Nacht alle Schleusen offen waren, obwohl ich keine große Heulsuse bin:

Aus unserer letzten Fahrt nach Husum am 6. Juli - also vor 17 Tagen - kamen wir mit einer sehr sympathischen älteren Dame ins Gespräch, sie saß eine Reihe vor uns. Sie erzählte uns, dass sie als Ehrenamtliche auf der Palliativstation der Universitätsmedizin Göttingen arbeite, eben genau dort, wo Veronika zu dem Zeitpunkt lag. Natürlich erzählten wir - vor allem Sonja - ihr von sich und Veronikas Schicksal, und als die Dame in Hamburg ausstieg, versprach sie, Veronika bald zu besuchen. Dazu sollte es nicht mehr kommen.

Gestern brachte der Postbote einen dicken Brief für Sonja von eben dieser Dame, deren Namen mir im Stress der letzten Tage wieder entfallen war. Sie musste die Nachricht von Veronikas Tod und unsere Adressen vom Pallikativteam bekommen haben: In dem Brief fand sich ein handgeschriebenes und liebevoll dekoriertes Heft für Sonja. Ich fand den Inhalt so bewegend, dass ich ihn hier wiedergeben möchte: 

"Guten Tag, Sonja! Neulich sind wir zusammen Zug gefahren und da hast du zu mir gesagt: 'Bald habe ich keine Mama mehr.' 

Ich mochte es zuerst gar nicht glauben. Und nun weiß ich, dass das stimmt. Und auch ich kann fühlen, wie sehr traurig Du bist. Und dein Papa und alle Menschen, die Deine Mama kannten. 

Heft für Sonja

Sonja, weißt Du, was ich glaube? Es ist ein Engel gekommen und hat deine Mama ganz liebevoll und vorsichtig zum lieben Gott getragen. Und er nimmt alle Schmerzen und wischt alle Tränen ab. Und wenn Du abends im Dunkeln Sterne am Himmel siehst, dann könnte es doch sein, dass auf einem jetzt Deine Mama wohnt. Es gibt so, so viele Sterne ...

Und der, auf dem Deine Mama vielleicht wohnt, der strahlt und lacht Dir ganz besonders zu. Du, Sonja, hast ganz alleine einen Stern für Dich. 

Wenn die Ferien zu Ende sind, gehst du auf die Boni 2 (Anm.: Sonjas weiterführende Schule), hast du erzählt. Vor ein paar Jahren ist die Tochter meiner Freundin auch dort auch zur Schule gegangen. Und dann habe ich sie jeden Donnerstag abgeholt, und wir haben den Nachmittag gemeinsam verbracht.

(...)

Ob du mich wohl mal besuchen magst, mit Deinem Papa und Eurem Hundi? Wie er wohl heisst? 

Ich wohne in meiner Wohnung ganz alleine und gar nicht so weit entfernt. Vielleicht essen wir (...) mal gemeinsam ein Eis. 

Sehr lieb denkt an dich

Anja (Name verfremdet)"

Es gibt Momente, da fehlen sogar mir die Worte: Die Frau hatte Sonja und mich einmal gesehen und kannte uns kaum.






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