Tag 20: Jahr ohne Sommer

Ein Jahr ohne Sommer gab es in der Geschichte wirklich: Es handelt sich um 1816, in dem es zu starken Regenfällen, Nachtfrösten und ungewöhnlicher Kälte kam. Wer will, kann sich bei Wikipedia o. Ä. schlaulesen. Die Ursache war ein schwerer Vulkanausbruch im Vorjahr, der zu einem weltweiten vulkanischen Winter geführt hatte. 

Auch 2023 gibt sich - zumindest in unseren Breiten - eher nasskalt - ich weiß, in Südeuropa sieht es ganz anders aus. Für mich fällt der Sommer dieses Jahr ohnehin aus, das würde er auch, wenn es so heiß wäre wie 2022. Ich verbinde Sommer normalerweise mit einer gewissen Leichtigkeit und Gelöstheit. Gestern Abend habe ich die Buchungshistorie in meinem Deutsche-Bahn-Account durchgelesen, meine kleine Familie und ich waren immer gern unterwegs. 2022 um diese Zeit standen wir kurz vor unserem Urlaub am Rhein und in der Eifel, wir waren vom 4.8 bis 17.8 unterwegs gewesen. 

Kurz zuvor hatte Veronika positive Nachrichten aus der Klinik mitgebracht: Die Radiochemotherapie (d. h. Chemotherapie und Bestrahlung zeitgleich in Kombination) hatten sich gelohnt und somit die damit einhergegangenen Nebenwirkungen: Alle von Tumorzellen befallenen Lymphknoten hatten sich verkleinert, der Tumor schien auf kleiner Flamme unter Kontrolle. So verbrachten wir einen relativ sorglosen und quasi krebsfreien Urlaub, trafen Freunde, gingen essen, wandern und schwimmen - und machten Pläne für den Einzug eines Hundewelpen.

Dieses Jahr will sich diese Unbeschwertheit nicht einstellen: Sonja und ich versuchten - so gut es geht - unseren neuen Alltag als Restfamilie zu bewältigen. Der Tag der Trauermesse rückt immer näher - auch Sonjas Wechsel auf die neue Schule steht an. Diese zwei Ereignisse, am 16.8 und am 18.8 werden für Sonja und mich die ersten kleinen Schritte in ein gänzlich neues, noch unbekanntes Leben sein. Der erste dieser Schritte fällt mir wahnsinnig schwer - vor einem Jahr war gerade das Thema Tod und Trauer so weit weg wie noch nie seit Veronikas Rückfalldiagnose im Sommer 2020. Der Gedanke an den letzten Sommer schmerzt gerade unerträglich.

Gestern und heute hatten wir Freunde zu Besuch und haben trotz des kühlen Wetters auf der Terrasse Fisch und Wurst gegrillt - etwas, was wir im "alten Leben" jeden Sommer gemacht haben. Wie viele Gespräche und schöne Abende mit Freunden haben wir so verbracht. Jene Zeit fühlt sich so unglaublich weit weg an - und jeder Erinnerung daran zeigt mir gerade, welche riesige Lücke in unserem Leben klafft. Ich hoffe, nächstes Jahr wird wieder Sommer.


Kommentare

  1. Wird es, vielleicht noch mit etwas Druckgefühl auf der Brust, aber wird es. Was bleiben wird, ist die Zeiteinteilung in "davor" und "danach". So zumindest meine Erfahrung.

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