Tag 6: Brief an Veronika

Meine liebe Veronika,

heute vor einer Woche war ich mit Sonja auf Sylt. Und wir haben das letzte Mal miteinander am Telefon gesprochen. Manchmal ist es besser, wenn man sowas in dem Moment nicht weiß - das glaube ich zumindest. Noch nie hat sich in meinem Leben so viel verändert, wie in der letzten Woche. Und ich merke, dass ich noch nicht umrissen habe, was eigentlich passiert ist: Du bist weg, du, die du immer da warst, die mit mir durch dick und dünn gegangen ist. Unser Haus sieht immer noch so aus, als würdest du gleich reinkommen, wahrscheinlich würdest du mir sagen, ich soll doch meine Schuhe aufräumen. Oder wir würden unsere vertrauten Späße miteinander machen. Aber du kommst nie wieder, du wirst mich nie wieder rufen, wenn ich im Keller bin und du im Parterre, ich werde nie wieder augenrollend die Treppe heraufkommen. Nie wieder.

Ich weiß ja nicht, ob du mitkriegst, was ich so tue: Die meiste Zeit sitze ich an deinem Schreibtisch, erledige irgendwelches Zeug, was mit deiner Trauerfeier zu tun hat. Parallel dazu arbeite ich Ordner mit Versicherungsunterlagen oder Ähnlichem durch. Immer wieder klingelt das Telefon. 

Sonja hält mich zudem auf Trab: Sie hat dein Handy übernommen, ich habe ihr eine neue Karte dazu besorgt und sie organisiert sich Treffen mit ihren Freundinnen. Zwischendurch möchte sie mit mir reden und Isa (unsere Hundedame) fordert ihren Tribut in Form von Spielen und Spaziergängen. Ich bin froh, dass ich auf diese Weise den ganzen Tag beschäftigt bin, so komme ich irgendwie durch den Tag. Am Abend, nach getaner Arbeit, kommt dann das, was wohl die berüchtigte Trauer ist: Ein verdammt bitter schmeckendes Gefühl, ein bisher nicht gekannter seelischer Schmerz, der mich wohl länger begleiten wird. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die nah am Wasser gebaut haben. Leider, denn ich habe gelesen, dass Weinen Stresshormone reduziert.

Heute waren wir am Morgen in der Heiligen Messe in Maria Frieden, bei Pater Felber. Er hat von dir erzählt, wie er dich noch am Freitag auf der Palliativstation besucht hat. Ein sympathischer Typ, er stammt aus Kaufbeuren. Wusstest du, dass dort meine Großtante lebte?

Ich schließe für heute. Ich hab dich lieb.


Dein Benni




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