Posts

Es werden Posts vom Oktober, 2023 angezeigt.

Tag 111: Wo bist du?

Bild
Veronika, wo bist du? Neulich habe ich Sonja im Halbschlaf gefragt: Ist Mama noch unten? Ich wurde sofort wach. Natürlich warst du nicht unten. Ich wüsste so gerne, wo du bist. Wie ist der Ort, von dem alle reden, den sie Jenseits, Himmel, Paradies nennen? Streiten sich die Menschenseelen dort auch wegen irgendwelcher Nichtigkeiten? Gibt es Neid, Missgunst, Krankheit, Ungerechtigkeit? Oder bist du uns ganz nah? Bist du in dem Sonnenstrahl, der sich durch die herbstlichen Regenwolken kämpft? Bist du die eine Blume, die noch im Garten blüht und dem Herbstwetter standhält? Bist du vielleicht der eine Vogel, der in unserem Garten sitzt und aufmerksam zu uns hineinsieht? Bist du in dem Windstoß, der mir neckisch den Hut vom Kopf weht? Sonja wollte im Urlaub auf die hohen Berge, um dir nah zu sein. Vielleicht warst du in dem strahlenden Sonnenlicht, das uns auf dem Gletscher geblendet hat.  Oder bist du tatsächlich in einem der Abermilliarden Sterne, die man am klaren Himmel erkennen kann? I

Tag 105: Münchner Orte

Bild
Heute habe ich in München meine Erinnerungsorte besucht. Meine Mutter verbrachte den Nachmittag mit Sonja und Isa und ich begab mich - wohlüberlegt, auf eine sentimentale Tour durch meine Geburts- und ehemalige Heimatstadt. Wer mich kennt oder Veronika kannte oder sogar uns beide, weiß, dass wir bis September 2002 unsere Lebensmittelpunkte in München hatten. Wir studierten an der Ludwig-Maximilians-Universität , ich damals mit dem Ziel Magister, Veronika mit dem Ziel Promotion. Nebenbei jobbten wir in diversen Kinos - Veronika war ein großer Filmfreak.  Meine heutige Tour dauerte etwa drei Stunden. Es war emotional nicht einfach für mich. Dennoch - ich bin meinem Herzen und meinem Wunsch gefolgt und bin in die Zeit meiner ersten großen Liebe zurückgereist. Im Nachhinein sehe ich das, was ich heute hinter mich gebracht habe - als einen großen Schritt auf meinem Weg in mein neues Leben, in dem Veronika nicht mehr als physische Person bei mir ist, sondern als zu liebevoller Erinnerung ger

Tag 104: Veronikas Elternhaus

Bild
Gestern habe ich mit Sonja ihren noch lebenden Opa besucht: Veronikas Vater. Mir ist wichtig, dass in einer Familie Kontakt zwischen Generationen besteht und solche Beziehungen gepflegt werden, weil beide Generationen vom Austausch untereinander profitieren können. Für mich hieß das ein Besuch in Veronikas Elternhaus in Brannenburg am Inn, ca. eine Stunde Bahnfahrt von München entfernt. Emotional hat mich das gestern ziemlich mitgenommen - oder soll ich sagen: zurückgeworfen? Ich habe mich mit einer ordentlichen Portion Schwermut an den ersten Besuch dort erinnert: Es war im Mai 1997, wir waren zwei frischverliebte Turteltäubchen, zwischen die zu keiner Zeit ein Blatt passte. Es war gleichzeitig mein "Antrittsbesuch" bei Veronikas Eltern gewesen. Wir waren noch Studenten, hatten keine ernsten finanziellen Probleme, keine Verantwortung für Haus, Hund und Kind. Aber wir hatten uns, und das genügte uns vollauf.  Wir hatten begonnen, erste Pläne zu schmieden: Unsere erste gemeins

Tag 100: Monte Isola

Bild
Heute ist Veronika genau 100 Tage von uns gegangen. Hier steht erstmalig eine dreistellige Zahl. Wenn hier eine vierstellige Zahl stehen wird, wird der Ostersonntag im Jahr 2026 sein. Ich wusste nicht, wie dieser Tag für mich sein sollte. Ich hatte keinesfalls geplant, dass wir genau heute diesen Ort besuchen würden, es hat sich viel mehr aus unserer Reiseplanung zufällig ergeben. Monte Isola ist eine Insel im Iseosee, die so groß ist, dass auf ihr mehrere kleine Dörfer liegen, zudem ist sie das ganze Jahr bewohnt.  Ich hatte mich auf unserem Urlaub 2017 in diese Ecke Norditaliens verliebt und wollte gerne nochmal hierher. Diesen Wunsch habe ich mir jetzt erfüllt. Mit Veronika hätte ich diese Reise so nicht unternommen: Sie hätte viel lieber etwas Neues, bisher Unbekanntes sehen wollen. Die Frage ist paradox: Darf ich etwas genießen, was ich (höchstwahrscheinlich) nur machen kann, weil Veronika nicht mehr am Leben ist? Ich kann und will mir diese Frage nicht beantworten, muss es aber

Tag 99: Ospizio Bernina - Sale Marasino

Bild
Unsere heutige Route bei Google Maps (Nicht ganz akkurat, weil Google Maps hier nur die Straßenverbindung kennt.) Heute verlassen wir die Schweiz, das Hochgebirge und die Berninabahn. Zunächst geht es noch den eindrucksvollsten Teil der Berninastrecke hinunter ins italienische Tirano. Der Zug arbeitet sich hier in mehreren Kehren von der Passhöhe hinunter ins Valposchiavo , zu Deutsch Puschlav . Wir haben Gott sei Dank traumhaftes Wetter. Weniger traumhaft ist das Pensionärsehepaar, das erst die Nase rümpft, als Sonja und ich uns in die 1. Klasse setzen, wofür wir auch Fahrkarten haben, und uns dann als Scheißdeutsche bezeichnet. Wenigstens lernt Sonja so, dass es überall auf der Welt A...löcher gibt, auch in ihrer geliebten Schweiz.  Von Tirano geht es mit dem Bus über Aprica nach Edolo im Valcamonica . Und von dort weiter nach Süden bis Sale Marasino am Iseosee . Je weiter man sich von den Schweizer Bergen entfernt, umso lieblicher wird die Landschaft. Isa ist ein super Reisehu

Tag 98: Bernina Diavolezza

Bild
Diavolezza ist Italienisch für kleine Teufelin.  Damit ist ein 2978m hoher Berggipfel im Schweizer Kanton Graubünden gemeint, nicht weit von St. Moritz entfernt. Sonja hatte schon angemerkt, der Name würde auch zu ihr passen. Also sind wir heute mit der Seilbahn raufgefahren - wir wollen ja immer hoch hinaus. Es dürfte Sonjas bisher höchster Gipfel im Leben sein. Sie freute sich, dem Himmel nahezukommen, weil sie dann ja bei Mama in der Nähe sein könnte. Das lasse ich mal - tief gerührt - so stehen und lasse die Bilder sprechen.  Der Bahnhof Ospizio Bernina (Bernina Hospiz), Blick in Richtung Norden, 2253 Meter über dem Meer Bahnhof Ospizio Bernina, Detailaufnahme des Läutewerks Bergstation der Seilbahn Bernina Diavolezza - weit oberhalb der Baumgrenze in 2903m Höhe Blick auf den Lej da Diavolezza (Diavolezzasee) - wer möchte da nicht ein kühlendes Bad nehmen? Blick auf den Diavolezzagletscher (1) Blick auf den Diavolezzagletscher (2) Impression vom nachmittäglichen Hundespaziergang

Tag 97: Basel - Ospizio Bernina

Bild
Unsere heutige Route Heute sind wir einigermaßen früh aufgestanden, ich habe unsere Hundedame ausgeführt und wir sind nach dem Frühstück mit der Trambahn zum Bahnhof Basel SBB gefahren. Um kurz nach halb zehn saßen wir im InterCity Richtung Chur. Bei wolkenverhangenem Himmel ging es zunächst am Südufer des Zürichsees, dann am Walensee und schließlich am Rhein entlang nach Chur.  In Chur lebten früher meine Stiefgroßeltern Paul und Heidi, ich habe sie gerne besucht. Das letzte Mal war ich dort im Frühjahr 1998. Ich war im dritten Semester und Veronika und ich hatten gerade unser Einjähriges gehabt. Heute sind wir im Rahmen der obligatorischen Hunderunde zu dem Haus in der Lürlibadstraße gegangen, wo sie wohnten und ich mich immer ganz wohl fühlte. Ich wollte Sonja zeigen, dass sie ja über Ecken eine Verbindung in die Schweiz hat. Ich kam sogar mit einer Nachbarin ins Gespräch, die sich noch an Heidi erinnerte. Von Chur ging es weiter mit dem Bernina-Express bis zum Berninapass im Kan

Tag 96: Göttingen - Basel

Bild
Unsere heutige Route Es sind Herbstferien, bis einschließlich Allerheiligen am 1.11 und wir verreisen mit drei Köpfen und acht Beinen. Somit ist dieser Witwer- und Trauerblog in den nächsten Tagen auch ein Reiseblog. Ich habe das Gefühl, in unserem schönen Haus fällt mir der Himmel auf den Kopf. In den letzten Tagen fühlte ich mich müde und abgekämpft. Veronikas Tod liegt immer wieder wie ein bleierner Mantel auf mir. Ich möchte Sonja und mir schöne Erinnerungen schaffen, das geht mit einem Urlaub immer noch ziemlich gut. Es ist die erste Reise in der Konstellation Benni-Sonja-Isa, und die erste, die ohne Veronika geplant wurde - sieht man von Sonjas und meinem Trip nach Rom im Oktober 2022 mal ab.  Zuerst ging es heute von Göttingen mit dem Zug nach Basel. Leider stimmt die Anzeige auf der Karte nicht so ganz, wir sind ohne Umsteigen und mit Verspätung durchgefahren. Dort übernachten wir einmal. Morgen geht es in der Früh weiter nach Chur im Schweizer Kanton G

Tag 94: Wachstum

Bild
Am 10. Juni dieses Jahres hatte ich Besuch von einem Freund und Kollegen aus Frankfurt. Wir haben ein paar arbeitsrelevante Dinge besprochen und sind dann zum gemütlichen Teil übergegangen. Veronika ging es schon ziemlich schlecht. Es war die Phase, in der sie sich jeden Tag schwächer fühlte. Ich äußerte gegenüber meinem Freund die Sorge, dass Veronika möglicherweise nicht mehr lange zu leben hätte. Ich war mir - ziemlich einen Monat vor ihrem Tod - noch nicht im Klaren, wie schnell sich ihr Zustand von da an verschlechtern sollte. Er sagte mir in unserem Gespräch: "Was auch immer passiert, du wirst daran wachsen."  Ich musste heute wieder daran denken: Neben vielen Modellen für Trauerverarbeitung bin ich heute auf eines gestoßen, das ich besonders stimmig finde. Es geht auf die neuseeländische Autorin und Dozentin Lois Tonkin zurück. Ich verlinke hier ein englischsprachiges Video, in dem das Modell erklärt ist. Grob gesagt geht es gar nicht darum, dass die Trauer im Laufe

Tag 92: Brief an Veronika

Bild
Liebe Veronika, du bist jetzt genau drei Monate nicht mehr bei uns. Genau in dem Moment, wenn dieser Beitrag veröffentlicht wird, heute um 10:52. Du bist im Hochsommer von uns gegangen, als die Tage schon ganz langsam wieder kürzer wurden. Jetzt verschwindet das Sonnenlicht ganz schnell, es ist jeden Morgen, wenn ich Sonja wecke, ein wenig dunkler. Es ist binnen weniger Tage Herbst geworden, die Vögel sind verstummt, nur die Krähen sind weit zu hören. Die Blätter fallen, es ist neblig, das morgendliche Zwielicht hält sich weit in den Vormittag hinein. Du liebtest diese Stimmung sehr. Im Herbst zeigt uns die Natur die Vergänglichkeit allen Seins: Die einst saftig grünen Blätter verfärben sich erst langsam, dann immer schneller, trocknen aus, fallen runter und enden als Kompost oder in irgendwelchen Laubsaugern. Auch an dem starken Ahorn über deiner Grabstelle wird das Laub jetzt müde und lässt sich zu Boden sinken. Nichts und niemand entkommt diesem Geschehen: In einigen Wochen recken d

Tag 90: Hunde

Bild
Es ist - so habe ich erfahren - gar nicht so ungewöhnlich, dass sich Trauernde ein Haustier zulegen. Nein, natürlich ist ein Hund oder eine Katze niemals ein Ersatz für einen verlorenen Lieblingsmenschen. Aber Hunde haben durchaus so etwas wie einen therapeutischen Effekt: Zuallererst benötigen sie Zuwendung - geben diese aber auch zurück. Sie sind - im Gegensatz zu Menschen - treue Seelen und suchen sich, wenn Herrchen oder Frauchen nicht mehr ganz jung und knackig sind, nicht einfach was Frisches. Nicht umsonst spielen in verschiedenen Kontexten Therapiehunde eine wichtige Rolle, zum Beispiel in der Psychotherapie, Ergotherapie, aber auch bei der Lerntherapie mit Kindern. Diese Tiere interagieren auf vielfältige Weise mit den Patienten: Sie fordern zum Spiel auf, sie zeigen Empathie, sie begleiten im Alltag und vieles mehr.  Bei uns ist es etwas einfacher: Ich merke, dass die Anwesenheit unserer Zwergschnauzerhündin Isa, die ja auch kein ausgebildeter Therapiehund ist, einen sehr pos

Tag 86: Nun ist es aber mal gut!

Bild
Vor zwei Tagen hatte ich ein intensives Gespräch mit einer "Leidensgenossin" - sie ist schon einige Jahre länger verwitwet als ich und in der Folge ebenfalls alleinerziehend. Keineswegs war diese Unterhaltung ein Rumjammern, ein gegenseitiges Bemitleiden, es war vielmehr ein nüchterner Erfahrungsaustausch und durchaus auch unterhaltsam und beflügelnd. Sie erwähnte diesen Satz "Nun ist es aber mal gut!" in unserem Gespräch. In unserer Situation kriegen wir ihn immer wieder mal zu hören, wenn nach dem Tod des Lebenspartners einige Zeit ins Land gegangen ist. "Gar nichts ist gut!", fügte sie hinzu, "das hätten alle wohl gerne. Weil sie damit nicht umgehen können."  Wenn Trauernde auf Partys gehen, sich auf Stadtfesten unters Volk mischen, ausgelassen tanzen, sich amüsieren, dann scheint vieles für Außenstehende wieder "normal". Er oder sie wird dann für "darüber hinweg" erklärt. Erst recht, wenn neue Lebenspartner ins Spiel komme

Tag 84: Zeitrechnung

Bild
Jemand hat mir bei Facebook geschrieben, die Worte in diesem Tagebuch seien meine Tränen. Ich danke für dieses schöne Feedback und, ja, das trifft zu! Je nachdenklicher ich bin, je mehr ich gerade den "Blues" habe, desto eher zieht es mich an die Tastatur, desto eher entsteht hier in diesem Blog etwas Neues:  Apropos Blues: Bis gerade eben hatte ich Besuch von einem alten Freund (er ist großer Blues-Fan und nebenberuflich ebensolcher Musiker) aus München. Es war ein schönes Wochenende. Als Gastgeschenk brachte er mir einem Kasten Bier aus der Heimat. Ich habe mich gefreut, dass er seinen Humor nicht verloren hat. Mit alten Freunden redet man für gewöhnlich über alte Zeiten, gerade dann, wenn man sich zwischendurch aus den Augen verloren hat.  Wir hatten uns 1993 kennen gelernt, die meiste Zeit zusammen hatten wir 1996 verbracht: Wir absolvierten damals beide Zivildienst bei unterschiedlichen Einrichtungen in München. Das Abitur lag hinter uns, der Ernst des Lebens vor uns, un