Tag 96: Göttingen - Basel

Unsere heutige Route

Es sind Herbstferien, bis einschließlich Allerheiligen am 1.11 und wir verreisen mit drei Köpfen und acht Beinen. Somit ist dieser Witwer- und Trauerblog in den nächsten Tagen auch ein Reiseblog. Ich habe das Gefühl, in unserem schönen Haus fällt mir der Himmel auf den Kopf. In den letzten Tagen fühlte ich mich müde und abgekämpft. Veronikas Tod liegt immer wieder wie ein bleierner Mantel auf mir. Ich möchte Sonja und mir schöne Erinnerungen schaffen, das geht mit einem Urlaub immer noch ziemlich gut. Es ist die erste Reise in der Konstellation Benni-Sonja-Isa, und die erste, die ohne Veronika geplant wurde - sieht man von Sonjas und meinem Trip nach Rom im Oktober 2022 mal ab. 

Zuerst ging es heute von Göttingen mit dem Zug nach Basel. Leider stimmt die Anzeige auf der Karte nicht so ganz, wir sind ohne Umsteigen und mit Verspätung durchgefahren. Dort übernachten wir einmal. Morgen geht es in der Früh weiter nach Chur im Schweizer Kanton Graubünden. Von dort aus weiter mit dem Zug über die Albulabahn bis zum Berninapass, dem höchsten normalen Bahnhof Europas auf 2309 m Höhe. Dort übernachten wir zweimal, bevor wir am 17. Oktober nach Sala Marasino am Iseosee in Italien weiterziehen. Dort bleiben wir weitere drei Tage, ehe wir nach München fahren - dort haben Veronika und ich uns kennen gelernt. Aus der bayerischen Landeshauptstadt geht es am 24. Oktober zurück nach Göttingen.

Sonja, Isa und ich am Bahnhof in Göttingen
Ich habe die Orte nicht ganz zufällig ausgewählt: Auf dem Berninapass war ich zuletzt 1995: Damals ging ich - kurz nach dem Abitur - alleine auf Reisen, auch über die Schweiz nach Italien. Das war 16 Monate, bevor Veronika und ich uns kennen lernten. Der Berninapass ist Teil der weltberühmten Berninabahn, eine der beliebtesten Schweizer Alpenbahnen. Wer mich kennt, weiß um meine Vorliebe für (fast) alles, was auf Schienen fährt und somit gehören interessante Zugfahrten zu jedem Urlaub dazu. 

Am Iseosee in der norditalienischen Region Lombardei waren wir zuletzt im Juli 2017 zu dritt - gewissermaßen unser letzter krebsfreier Urlaub, vier Monate, bevor das begann, was uns letzten Endes als Familie auseinanderreißen sollte. 

Sonja ist - wie ich gestern beobachtet habe - sehr "erwachsen" geworden: Sie packte gestern selbständig ihr Gepäck, sie erinnerte mich, alles mitzunehmen und nichts zu vergessen, sie konnte im Bahnhof problemlos das richtige Gleis finden. Ich finde, sie ist eine tolle Reisebegleiterin, nicht nur auf diesem Erlebnis- und Erholungstrip, sondern auch auf der Reise, welche die Menschen prosaisch Leben nennen. Sie ist ein Mädchen, das durchaus séinen Kopf und seine Willensstärke hat. Das macht es im Alltag und unterwegs nicht immer ganz einfach, da sie sehr gerne diskutiert. Ich bin zuversichtlich, dass sie ihre Energie in den kommenden Jahren dafür einsetzt, stark und sicher in ihr Leben zu gehen. Bis sie ihre eigenen Wege geht, möchte ich ihr gerne noch ein wenig von der Welt zeigen.

Wir sind mit einer Stunde Verspätung in Basel angekommen - auf die DB ist in diesem Punkt Verlass - und haben erstmal eine Liegedecke für Isa in einer Zoohandlung gekauft. Irgendwas vergesse ich bei meinen Abreisen eigentlich immer - hinzu kommt, dass ich seit Veronikas Tod - und gerade in den letzten Wochen - ziemlich vergesslich bin. Das liegt aber auch daran, dass ich an viel mehr Dinge denken muss und nicht so gründlich bin wie Veronika: Sie machte sich für alles immer Listen, auf denen sie die einzelnen Punkte dann der Reihe nach durchstrich, wenn sie erledigt waren. 

In Basel verbringen wir die Nacht in der Jugendherberge, auf Schwyzerdütsch genannt JuGi. Ich schätze an dieser Art Unterkunft, dass man zumeist leicht mit anderen Reisenden ins Gespräch kommt, oft sind auch Familien mit Kindern unterwegs. Sonja hat so im Urlaub immer oft Anschluss gefunden. Veronika und ich hatten dann Zeit für uns und ein oder auch mehrere Gläser Wein. 

Auch das wird in diesem Urlaub anders sein. Heute Abend waren Sonja und ich noch auf der nächtlichen Hunderunde durch Basel - die Stadt wirkt schweizerisch aufgeräumt, in der Fußgängerzone sind die gängigen Luxusmarken präsent. Ich weiß noch überhaupt nicht, wie es sich anfühlen wird, Orte zu besuchen, an denen wir das letzte Mal unbeschwert als krebs- und (fast) sorgenfreie Familie waren. Ich habe immer gehört, sowas gehört zu einem Trauerprozess dazu. Ich bin bereit für diesen Weg. Morgen sitzen wir um 9:33 im nächsten Zug.

 

Kommentare

  1. Hallo Ben. Ich habe dich glaube ich am 10.10 im Bahnhof Göttingen kurz gesehen. Ich bin ja auch alleinerziehender Vater seit 10 Jahren. Gerne können wir uns austauschen. Gute Reise euch!

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