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Es werden Posts vom Mai, 2024 angezeigt.

Tag 325: Tagebücher

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Veronika schrieb, wie sie es nannte, Tagebuch. Streng genommen war es kein klassisches Tagebuch: Sie hatte kleine Kalender-Notizbücher, in denen sie abends stichpunktartig die "Highlights" des vorangegangenen Tages notierte. Diese Aufzeichnungen hat sie mit der ihr eigenen akribischen Konsequenz bis zum 8. Juli 2023 durchgezogen. Viel mehr Erinnerungen an den Alltag gehen nicht, ich erinnere mich, wenn ich darin blättere, oft an die Ereignisse der jeweiligen Tage. Ich hätte die für solche Aufzeichnungen erforderliche Beharrlichkeit nie aufgebracht - es gibt bis kurz vor ihrem Tod keine einzige Lücke. Heute vor einem Jahr war ein normaler Dienstag, Veronika war bei der Ergotherapie, ich habe in der Zeit meine Arbeit erledigt. Am Nachmittag hat uns Pater Joos von der St.-Michaels-Kirche besucht. Uns war längst klar, wohin Veronikas Reise gehen würde. Am späteren Nachmittag waren Sonja und Veronika in der Stadt um für Sonjas bevorstehende Klassenfahrt nach Italien einzukaufen. A

Tag 318: Brief an Mittrauernde

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Liebe Leserinnen, liebe Leser, viele von euch sitzen irgendwie im gleichen Boot wie Sonja und ich: Ihr habt euren Lieblingsmenschen verloren, ob durch lange Krankheit oder durch ein unerwartetes Ereignis, egal wie: Ihr habt einen "Beziehungsstatus", den ihr niemals wolltet. Es ist auch egal, ob ihr offiziell verwitwet seid oder ob ihr ohne Trauschein ein glückliches Paar wart. Schmerzhaft ist es so oder so. Bei Sonja und mir jährt sich der Todestag bald zum ersten Mal. Vor einem Jahr, gegen Ende Mai 2023,  zeichnete es sich ab, dass der Tumor schneller sein würde als die stärksten Medikamente. Ich durfte viel lernen seitdem, über das Leben, über mich und über alles Zwischenmenschliche. Heute möchte ich euch aufschreiben, was Sonja und mich durch diese Zeit gebracht hat und mehr und mehr nach vorne blicken lässt. Ich schreibe euch das als Ratschläge, ohne dass es Schläge sein sollen. Ob und wie es euch hilft bzw. geholfen hat, müsst ihr für euch herausfinden: 1. Holt euch jede

Tag 316: Hochzeitstag

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Heute wären wir 23 Jahre verheiratet. Zu Beginn von Veronikas Erkrankung waren wir nicht mehr sicher, ob wir noch Silberhochzeit feiern würden. Wir haben dieses "Ziel" um fast drei Jahre verfehlt. Noch hätte ich die Chance, in meinem Leben eine silberne Hochzeit zu feiern, das Thema Goldhochzeit oder mehr ist für mich mit hoher biologischer Wahrscheinlichkeit erledigt. Unsere Hochzeit haben wir in kleinem Rahmen gefeiert, es war ein Montag, ich hatte am Abend noch ein Seminar an der Uni und Veronika musste vor der Hochzeitsnacht noch im Kino arbeiten. Wir liebten es unkonventionell, somit heiratete Veronika auch nicht in weiß, sondern in einem 70er Jahre Blumenkleid und farbliche dazu pasenden Schuhen mit bunten Steinchen, ich kam mit Strohhut (liebte ich damals schon) und Nadelstreifenanzug. Andere Paare in unserem Alter und aus dem Freundeskreis - und auch aus unser beider Familien - haben wesentlich mehr Aufwand betrieben.  Es versteht sich von selbst, dass der bei der Hoc

Tag 311: Kinderschmerzen

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Meiner lieben Tochter geht es in den letzten Tagen oft nicht gut. Wiederholt klagt sie über recht diffuse Schmerzen: Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, Ohrenschmerzen. Vieles deutet darauf hin, dass sich bei ihr erneut der Schmerz über den Verlust ihrer geliebten Mama wieder mal Bahn bricht. Seelischer Schmerz nach einem heftigen traumatischen Ereignis manifestiert sich oft in verschiedenen körperlichen Symptomen. Zudem zieht sie sich oft zurück, weint viel und zeigt starke Stimmungsschwankungen. Sie wirkt in einem Moment sehr antriebsarm und reagiert kaum auf Ansprache. Kurz darauf zeigt sie sich wieder sehr unruhig und unkonzentriert. Immer wieder sucht sie vermehrt meine Nähe.  In den ersten Monaten nach Veronikas Tod habe ich Sonja oft unerwartet ruhig und gelassen erlebt. Sie war ausgeglichen, manchmal traurig, zeitweise auch fröhlich, weinte nur selten.  Seit einigen Tagen ist sie wie ausgewechselt und ich gebe zu, dass mich diese Situation zeitweise an meine Grenzen bringt. Vor allem,

Tag 300: Brief an Sonja

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Meine liebe große Sonja, während ich das hier schreibe, spielst du mit Isa in deinem Zimmer - eigentlich solltet ihr (du jedenfalls), schon im Bett liegen. Es klingt gerade sehr fröhlich und ausgelassen durchs Haus, ich höre euch bis runter ins Wohnzimmer. Ich bin froh, gerade scheinst du dich gut zu fühlen.  Du hast heute beim Abendessen einen Durchhänger gehabt. Es war einer dieser Moment, in denen du sagst: "Ich hasse mein Leben." Heute dauerte die "Trauerpfütze" etwas länger, ein paar Tränen sind gekommen und du hast mir sehr klar gesagt: "Mir ist alles zu viel, ich bin überfordert." Bei euch Kindern kommen diese Trauerschübe in kurzen, aber umso heftigeren Dosen. Heute war es wieder einmal so weit. Ich kann deinen Worten nichts entgegensetzen. Ich fühle mich in diesen Momenten immer verdammt hilflos. Weil ich weiß, dass du trotz allem leidest. Weil mir immer wieder bewusst wird, dass du seit fast einem Jahr ohne Mutter aufwachsen musst. Weil ich ganz