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Es werden Posts vom November, 2023 angezeigt.

Tag 139: Liebe, die zweite

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Wenn man, wie ich, zum Beginn seines Witwen-/Witwerdaseins statistisch gesehen noch vier Jahrzehnte vor sich hat, stellt man/frau sich zwangsläufig auch mal ganz nüchtern die Frage, wie - und vor allem mit wem - diese nicht ganz unwesentliche Lebenszeit gefüllt werden soll. Ich habe ja viele Gespräche mit anderen Mitverwitweten geführt und ein Kaleidoskop an Ansichten zu hören bekommen: Ältere Semester, besonders weiblichen Geschlechts, berichteten, sie hätten sich gerne zu ihrem verstorbenen Mann gelegt. Für jüngere, zu denen ich mich trotz meiner 47 Jahre zähle, stellt sich irgendwann mal die Frage: Will ich's nochmal wagen, und wenn ja, mit wem?  Viele Fernseh- und Textbeiträge befassen sich indes mit der Frage: Kann man/frau zweimal bzw. zwei Menschen lieben? Gibt es ein Leben mit zwei Lieben? ( https://www.psychologie-heute.de/beziehung/artikel-detailansicht/39532-ein-leben-mit-zwei-lieben.html ) Da die verstorbene Person ja - wie auch immer - aus dem Leben gerissen wurde, hat

Tag 137: Zeit

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137 Tage sind Sonja und ich nun schon in dem, was man unser neues Leben in der Konstellation drei minus eins nennen könnte. Draußen ist es nasskalt, grau, an manchen Tagen wird es gar nicht hell und sowieso um halb fünf am Nachmittag dunkel. Vor uns liegen in unregelmäßiger loser Folge die Adventszeit, Weihnachten, Silvester, Veronikas Geburtstag, mein Geburtstag, Ostern, dann mit zeitlichem Abstand Sonjas Geburtstag, ehe sich Veronikas Todestag zum ersten Mal jähren wird. 137 Tage sind ungefähr viereinhalb Monate. Keine lange Zeit - genau genommen. Und doch - die Erde hat sich auf Ihrer Bahn um die Sonne 352 Millionen  Kilometer weit bewegt - auch in Sonjas und meinem Leben ist kein Stillstand zu bemerken. Wenn diese 137 Tage von heute an in die Zukunft rechne, ist der 9. April 2024. Ostern wird dann schon eine Woche hinter uns liegen. Wir werden dann einen Großteil der oben genannten Feiertage und Anlässe hinter uns gebracht haben. Viele Mitwitwen und Mitwitwer berichten, es sei beso

Tag 128: 210mm x 297mm

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Wenn man sich so durch den Alltag arbeitet und lebt, merkt man, wie rechteckig viele entscheidende Dinge im Leben sind. In unserer bürokratisierten Welt haben viele wichtige Dinge das Format DIN A4: Bescheide, Belege, Befunde, Beglaubigungen, alles papierene Dinge, die heute beinahe so überlebenswichtig scheinen wie Essen, Trinken, Luft und Liebe.  Irgendwann landen diese Papiere dann in Aktenordnern und diese Aktenordner landen in Regalen. Wer das Glück hat, über einen großen Keller zu verfügen, kann diese Ordner dort aufbewahren. Denn einfach wegwerfen ist auch keine gute Idee und zum Teil vom Gesetz auch nicht so gewollt.   Seit einiger Zeit steht im Kellerraum - zwischen Kontoauszügen, Briefen von Versicherungen und den Unterlagen, die bei Freiberuflern wie mir noch dazu kommen auch der Ordner mit der Aufschrift FCK CNCR. In der Krebscommunity ist es bekannt als Kürzel für "Fuck Cancer". Veronika war ein sehr ordentlicher Mensch und hat alle Arztbriefe und Berichte dort a

Tag 122: Ein Stein in der Brandung

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  Der Grabstein ist gesetzt. Damit hat die Erinnerung an Veronika einen Ort, an dem ihre wichtigsten Lebensdaten sichtbar sind. Für alle und für lange Zeit. Ich bin froh, in diesen Zeiten einen ruhigen Ort der Erinnerung zu haben, einen zugänglichen Ort, an den - wer auch immer sich gerne an sie erinnert - gehen kann. Ich habe das Gefühl, die Zeit von Veronikas Tod bis zu den Hersbtferien ist rasend schnell vergangen. Und heute - in der Rückschau - kommt mir der letzte Sommer so weit weg vor.  Sonja legt in ihrer Entwicklung ein rasendes Tempo hin und ist auf dem Weg zum Teenager zu werden. Wer sie heute sieht und erlebt, wird feststellen, dass die Sonja von jetzt nur noch wenig mit der Sonja aus dem letzten Sommer gemein hat. Sie kommt mir gerade vor, als ginge sie mit Riesenschritten in ihr eigenes selbstbestimmtes Leben. Sie verbringt viel Zeit in ihrem Zimmer, beschäftigt sich mit Handarbeiten oder Zeichnen und möchte von mir im Wesentlichen nicht gestört werden.  Ich kann mich die

Tag 115: Hilfe - und ein Aufruf

Wer in so einer Situation wie Sonja und ich ist, holt sich vernünftigerweise Hilfe oder sucht zumindest den Austausch mit Leidensgenossen. In jedem Ort gibt es für solche Zwecke Trauergruppen. Man muss sich das im Wesentlichen als moderierte Gesprächskreise vorstellen. Es kann dabei durchaus auch heiter zugehen. Der Nutzen für Trauernde besteht im Wesentlichen darin, dass es sich um geschützte Räume handelt, in denen alles, aber auch wirklich alles an- und ausgesprochen werden darf. Die Palette reicht von hochemotionalen Themen bis hin zu lebenspraktischen Fragestellungen wie zum Beispiel dem Papierkrieg mit der Rentenversicherung. Es können sich in solchen Gruppen auch Freundschaften ergeben - ich habe auch schon von Paaren gelesen, die sich auf solchem Weg kennen lernen durften.  Sehr oft - und das liegt in der Natur der Thematik - sind in den Gruppen überwiegend deutlich ältere Semester vertreten als ich. Ich habe zweimal eine Trauergruppe aufgesucht, in der ich durch meine pure Anw