Tag 31: Brief an mich

Lieber Benni,

deine geliebte Veronika ist heute genau einen Monat tot. Du bist jetzt schon 31 Tage Witwer und alleinerziehender Vater. Du trägst zwei schwere Lasten: die große Trauer über den Verlust deiner Frau und die große Verantwortung für deine Tochter in einer schwierigen Zeit. Du hast viel um die Ohren und musst dich in den neuen Alltag erst langsam reinfinden, du musst die Trauerfeier organisieren und du musst dir auch überlegen, wie du im Alltag die durch Veronika hinterlassene Lücke füllst. Hast du nicht vor kurzem in einem Artikel über Trauerbewältigung gelesen, dass dabei zwei Prozesse ablaufen (müssen): Abschied vom alten, vertrauten Leben und parallel dazu der Aufbau eines neuen Lebens. Und weißt du was? Ich finde, du kriegst das beides ziemlich gut hin. 

Warum schreibe ich dir das? Weil du auch auf dich achten sollst! Sonja hat dir vor ein paar Tagen gesagt, sie habe Angst, dass du auch noch krank wirst vor Stress. Du hast sie dann beruhigt, aber die Angst ist doch aus Sicht einer Zehnjährigen total verständlich, findest du nicht? Also bitte, achte auf dich, mach auch etwas, was dir guttut.

Du hast die Trauerfeier organisiert, du hast die Grabstätte festgelegt, den Steinmetz beauftragt, du hast den ganzen Behördenkram zum Großteil erledigt. Für Sonja hast du Gespräche mit einer Pädagogin beim Jugendamt organisiert, eventuell kann sie so schneller eine Psychotherapie oder professionelle Trauerbegleitung bekommen. Zudem hast du eine Vater-Kind-Kur beantragt und auch bewilligt bekommen. Ihr könnt dort lernen, wie ihr mit dem schweren Verlust leben könnt, wie es im Alltag für euch beide leichter wird und wie ihr als Vater-Tochter-Team (noch) besser zurechtkommten könnt. 

Du hast den Gärtner bestellt und dem vernachlässigten Garten die nötige Pflege zukommen lassen. Du hast begonnen, im Haus aufzuräumen und auch einige Dinge verschenkt - ich denke, Veronika hätte das so gewollt! Du hast Sonja auch spüren lassen, dass Sommerferien sind und bist mit ihr noch zweimal weggefahren, nach Husum und nach Eisenach.  Und du hast euer soziales Netz gepflegt, für dich und Sonja, damit ihr in dieser Situation nicht allein seid, indem du immer wieder spontan Freunde eingeladen hast.

Gestern Abend kam eine Freundin von Veronika zu Besuch und hat mit Sonja Brettspiele gespielt, ihr habt viel geredet und zusammen gegessen. Diese Freundin - Veronika kannte sie aus ihrem Chor -  hat euch zwei kleine Glasprismen mitgebracht, die ihr an einem der Fenster auf der Südseite ins Sonnenlicht hängen könnt. Prismen brechen, wie du weißt, das Licht in unterschiedliche Wellenlängen und machen es auf vielfarbige Weise sichtbar. Sie hat zu euch gesagt, sie glaubt, dass auch in euer Leben wieder Licht kommen wird. Meinst du, dass Sie damit richtig liegt?

Es sendet dir alles Gute, viel Kraft, Trost und Zuversicht


Deine Innere Stimme



Kommentare

  1. Ich glaube, dass Veronika genau so gesagt hätte

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  2. Super! Das klingt als sehr gut! Allerdings auch nach ziemlich viel. Deine Innere Stimme hat Recht, wenn sie Dir rät, auf Dich zu achten. Ich bin verwitwet mit drei Kindern und erlaube mir, mich an erste Stelle zu setzen. Denn: Die Kinder hängen von mir ab. Es gibt außer mir Niemanden, der für sie da wäre. Also muss ich dafür sorgen, dass es mir in möglichst allen Bereichen möglichst gut geht. Denn nur wenn ich mich halbwegs wohl und gesund fühle, kann ich sie ausgeglichen und zugewandt begleiten.
    Ich lese mich gerade durch Deine Posts und ich habe das Gefühl, Du machst das intuitiv richtig gut.

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