Tag 37: Trauerfeier

Weißt du Vroni, ich hatte echt Bammel vor dem Tag. Das hat ja immer so was Endgültiges. Das ist ja auch der Sinn der Sache, irgendwie abzuschließen, klassisches Ritual eben. Außerdem: Würde alles klappen? Hatte ich an alles gedacht? Und so weiter und so fort. Aber lass mich erzählen: Die Nacht davor war unruhig, ich lag - wieder mal - lange wach. Zum einen, weil Sonja bei mir geschlafen hat und ich abwechselnd einen Ellenbogen oder ein Knie irgendwohin gebohrt bekam. (In Sonjas Zimmer schläft zur Zeit Esther, die noch bis übermorgen da ist.) Und natürlich war die Nacht auch unruhig, weil .... na ja, kannst du dir eh denken. Sowas hat und braucht man nicht alle Tage.

Ich bin früh raus, hab mit Isa die Hunderunde gemacht, es war Gott sei Dank bewölkt, die Luft war so feucht, dass man quasi Wasser einatmete. Nach dem Frühstück haben Lena und Ingo Sonja und mich abgeholt, meine Mutter und Esther kamen später mit Katrin und Lina zur Kirche gefahren. Sonja und ich haben in der Kirche noch die kleinen Sterbebildchen ausgelegt, dann kamen nach und nach die Leute. Du wirst nicht glauben, wer da so alles auftauchte: Leute, von denen wir dachten, sie seien längst in der Versenkung verschwunden, z. B. Mihal aus Warschau. Also weißt du, du warst echt beliebt bei vielen Menschen! Das ist schon toll! Und du bist (teilweise mit mir) viel rumgekommen. Ja, die Leute haben dich gemocht, du warst ja auch zu allen nett und immer gut drauf. Es kamen auch "die Schweizer", wie deine Tante Gerlinde immer sagte, also dein Cousin Manfred mit seiner Frau und einer Tochter aus Luzern. Die kannte ich ja noch gar nicht, echt voll nett.

Die Messe war schön, die Musik von Gustav Mahler, die du ausgewählt hattest, ergreifend, klingt auf der Orgel ziemlich cool, finde ich. Pater Felber hat ziemlich viel aus dieser Website zitiert. Auch der Sonnengesang von Franziskus von Assisi passte einfach! Es hatte auch was unglaublich Tröstendes, es ging viel ums Loslassen. So hattest du es ja auch gedacht. Und dein Chor hat toll gesungen, die sind echt gut. 

Danach gingen wir - leider nicht mit allen - in die Scharwache, wir waren - glaube ich - fast 40 Leute. Ich habe tolle Gespräche geführt, ich glaube mit fast allen, zum Teil sehr tiefgehende, aber auch lustige. Wir haben uns an dich erinnert, es war voll schön, so alle zusammen zu haben. Es haben sich eine Menge neue Kontakte ergeben, ich habe jedenfalls dauernd gesehen, wie irgendwer Adressen ausgetauscht hat. Wir saßen da bis in den späten Nachmittag. Als wir dann aus dem Restaurant kamen, war inzwischen die Sonne rausgekommen. Es war einer jener entspannten Göttinger Nachmittage im Spätsommer, die Weender Straße war angenehm bevölkert, die Menschen gingen spazieren, lachten unterhielten sich, genossen die milden Sonnenstrahlen. 

Ich habe mich entschieden, dass wir - um an dich zu denken und wieder zusammenzukommen - am 13.7.2024 ein Sommerfest bei uns im Garten machen, also gut ein Jahr nach deinem Loslasstag - ich meine natürlich deinen Todestag, aber das klingt irgendwie weniger schwer.

Also Vroni, jetzt sende mir doch bitte mal ein Zeichen: War der Tag so in deinem Sinne? Ich muss noch ein bisschen aufräumen jetzt - Sonja hat ganz schön viele Geschenke abgestaubt. 

Ich umarme dich!

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