Tag 249: Iden des März

Wir schreiben den 15. März und damit die Iden des März. Das war im römischen Kalender die Bezeichnung für dieses Datum und heute vor 2068 Jahren, 44 vor Christi Geburt, wurde Iulius Cäsar durch mehrere Dolchstöße ermordet. Kurz zuvor hatte er sich noch zum Diktator auf Lebenszeit ernennen lassen, danach war die Römische Republik Geschichte. Der Name Caesar lebt heute weiter im Deutschen Kaiser, aber auch im russischen Zar. Wer so wie Veronika und ich noch Lateinunterricht über sich ergehen lassen durfte, kam um Caesars Aufzeichnungen über den Gallischen Krieg nicht herum. Deshalb sind die Sympathien für diesen Feldherrn und späteren Alleinherrscher meistens nicht besonders groß. Das zeigt sich auch in der etwas tölpelhaften Darstellung der Figur Caesars in den Comics und Filmen mit Asterix und Obelix.

Die lateinische Datumsbezeichnung Iden ist eine gebräuchliche Metapher für anstehendes Unheil. Vor vier Jahren, am 15. März 2020 zog die Covid-19-Pandemie herauf, die Grenzen zu Deutschland wurden ebenso geschlossen wie erst Schulen, später Restaurants und Museen. 

Vor einem Jahr war einer der typischen Klinik-Mittwoche, an dem Veronika ihre Antikörper- und Chemotherapie erhalten sollte. In ihren Kalender-Aufzeichnungen steht, dass die Therapie wegen Leukopenie verschoben werden musste. Im Klartext bedeutet das, dass die weißen Blutzellen (Leukozyten) durch die Therapie bereits so dezimiert waren, dass an jenem Tag eine weitere Gabe der Medikamente nicht möglich war: Das ist eine der Schwierigkeiten bei der systemischen Krebstherapie: Einerseits müssen die Medikamente dringend verabreicht werden, um das Wachstum des Tumors einzudämmen, andererseits sind die Nebenwirkungen so stark, dass zum Beispiel das Immunsystem des Körpers nicht mehr richtig arbeiten kann, was dazu führt, dass ein im Normalfall harmloser Infekt lebensbedrohlich sein kann. Das ist die Gratwanderung auf der sich Ärzte und Patienten bei einer Krebstherapie gleichsam befinden. Mit fortschreitender Erkrankung wird der Grat immer schmaler, die Abgründe auf beiden Seiten immer tiefer und das Gestein immer brüchiger.  

Man ahnt und fühlt irgendwann, dass sich die Vorzeichen langsam umkehren. Auch wenn die Ärzte noch versuchen positive Signale zu geben, so sagt einem doch der Verstand, dass jede Umstellung der Therapie eigentlich ein Teilsieg des Tumors im Wettlauf um Leben und Tod ist. Mir sagte ein Arzt mal, dass ein menschlicher Körper die extreme Belastung durch Krebsmedikamente wie Chemotherapeutika und Antikörper nicht auf Dauer ertragen kann. Guten Ärzten gelingt es, die Krebstherapie so niedrig zu dosieren, dass der Tumor unter Kontrolle ist, aber die Nebenwirkungen noch erträglich. Da Krebszellen aber im Lauf der Zeit gegen Medikamente resistent werden können, wird die Luft eben langsam dünner. 

Morgen beginnen die Osterferien in Niedersachsen. Sonja und ich gehen wieder mal auf Reisen, zuerst geht es nach Scuol im Engadin, anschließend in meine Herkunftsstadt München. 


Sonnenaufgang (Göttingen):    06:33

Sonnenuntergang (Göttingen): 18:25


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