Tag 207: Lichtmess und ein Haarschnitt

Heute ist Lichtmess. Und ich war beim Friseur. Hängt das irgendwie zusammen? Eigentlich nicht, den Termin bekam ich zufällig. Aber ich erlaube mir mal, einen Zusammenhang herzustellen: Mariä Lichtmess ist genau 40 Tage nach Weihnachten und bedeutete traditionell das Ende der Weihnachtszeit. So haben wir heute im Haus auch die letzte Weihnachtsdeko entfernt. Auch weltlich hatte dieses Datum eine Bedeutung: Die Dienstmägde und Knechte bekamen ihren Lohn, wurden entlassen oder weiterbeschäftigt. Die landwirtschaftliche Arbeit verlagerte sich langsam nach draußen. 

Auf meinem Kopf war fast 30 Wochen Wildwuchs ein Schnitt fällig. Ich erinnere daran, dass ich mir an Veronikas Todestag eine Glatze scheren lassen hatte. Ich hatte dies getan im Andenken an Veronikas zahlreiche Chemotherapien, deren sichtbarstes Zeichen oftmals ein Haarausfall und eine daraus resultierende "Chemoglatze" ist. Wer sich durch Blogs oder Instagramaccounts von Krebspatienten klickt, entdeckt oft, dass der erste Friseurbesuch ein Schritt ins normale Leben nach der Krebserkrankung darstellt. Ich habe zwar selbst keine Krebserkrankung am eigenen Leib hinter mir. Aber irgendwie war ich doch komorbid, "mit krank": Ich lag nachts wach, wenn Veronika wegen der Medikamente (v.a. Cortison) nicht schlafen konnte, ich fieberte vor jedem Untersuchungsbefund mit, freute mich über Remissionen und war geschockt von unerwartetem Fortschreiten der Erkrankung. Ich beschäftigte mich mit den medizinischen Leitlinien und las Studien zu den Medikamenten und Behandlungen, weil ich verstehen wollte, was die Ärzte da machten. Und weil ich Veronika ermöglichen wollte, im Arztgespräch die richtigen Fragen zu stellen.

Diese Zeiten sind zu Ende, der Kampf ist verloren, und ich arrangiere mich nicht nur mit meinem neuen Leben, sondern auch mit meinen Haaren, die seit der Pubertät noch nie so kurz waren wie zur Zeit. Wenigstens ist die Kurzhaarfrisur pflegeleicht. Ich habe mir irgendwann in meinen 20ern mal geschworen, nie kurze Haare zu tragen. Veronika und ich hatten uns geschworen, zusammen alt zu werden. Wie alt, haben wir dabei nicht definiert. Und so bin ich heute mit für meine Verhältnisse kurzen Haaren unterwegs, und unerwarteterweise als alleinerziehender Vater. Aber immerhin wieder als regelmäßiger Friseurkunde.

Sonnenaufgang (Göttingen):    07:57

Sonnenuntergang (Göttingen): 17:10


  



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