Tag 274: Abgrenzungen

Ostern ist vorbei, die Osterferien liegen hinter uns und damit das letzte große Fest im Trauerjahr. Man könnte sagen: Wir haben's ein Stück weit geschafft! Es geht stramm auf die Sommerferien zu, diese beginnen in Niedersachsen dieses Jahr bereits am 22. Juni, also verhältnismäßig früh. Veronikas erster Todestag wird somit mitten in die Sommerferien fallen. 

Ich hatte gestern Abend ein Gespräch mit einer "Mitwitwe" und wir kamen zu der Einsicht, dass ein so gewaltiger Umbruch im Leben auch viele andere Veränderungen in der betroffenen Person auslöst: Durchgemachte, verarbeitet geglaubte oder latent vorhandene Lebenskrisen kommen wieder zum Vorschein. Ich vergleiche das mit einem Gewässer, in dem sich Sedimente am Boden abgelagert haben: Wenn das darüber liegende Wasser sehr stark aufgewühlt wird und in Bewegung gerät, kommen auch die Sedimente wieder in Wallung und trüben das klare Wasser. In der Psychologie spricht man von "Triggern": Erlebte Krisensituationen und Kränkungen werden gewissermaßen wieder reaktiviert. 

In den letzten Wochen habe ich mich oft gefragt: Wer bin ich, wer will ich sein, wie will ich leben? Ich habe angefangen, mich neu zu definieren, mich abzugrenzen. ("Abgrenzen" ist eine direkte Übersetzung des Fremdwortes "definieren".)  

Mir wurde immer wieder geraten, ich solle auf mich achten. In den letzten Monaten, wo ich als alleinerziehender Vater in Vollzeit für meine liebe Tochter verantwortlich bin, habe ich begonnen, mich in Self Care zu üben: Ich lerne immer besser, zu sagen, was ich möchte, brauche, was Sonja und mir guttut und was uns nicht weiterbringt. 

Unterstützung anzunehmen und gegebenenfalls auch guten Gewissens einzufordern ist nicht für alle gleich einfach. Der erste Schritt ist, sich selbst zu erkennen und sich dieses Problem bewusst zu machen. Viele Menschen haben ein inneres Programm, niemandem zur Last fallen zu dürfen, es allen recht machen zu müssen. Eine gute Bekannte meinte zu mir: "Du bist jetzt mal dran."  Das waren die besten Worte auf dieser Reise zu mir selbst.


Kommentare

Am meisten gelesen

Tag null: Drei Anrufe

Tag 6: Brief an Veronika

Tag 1: Viele Anrufe und die Tränen meines Kindes