Tag 79: Reisen

Veronika und ich liebten Reisen. Ich liebe Reisen auch immer noch und bin froh, dass Sonja in diesem Punkt mit mir einer Meinung ist. Nach Veronikas erster Krebs-Episode, also vor dem Rezidiv, haben wir uns - natürlich - eine große Reise gegönnt. Das war ziemlich genau vor fünf Jahren, im September 2018. Wir hatten uns für den Norden Portugals entschieden: Von München ging es mit dem Flugzeug nach Lissabon, von dort aus nach Évora, dann weiter nach Nazaré am Atlantik, anschließend nach Aveiro, Porto und Guimarães. Am Ende verbrachten wir noch sechs Tage am Meer, in Figueira da Foz, bevor wir von Lissabon wieder nach München flogen. Der September war ein schöner Nachsaison-Reisemonat dafür, Sonja war noch nicht schulpflichtig, so konnten wir damals noch verreisen, wann wir wollten und den großen Touristenströmen aus dem Weg gehen. 

Wie auf allen unseren Reisen war es auch diesmal eine schöne Mischung aus Kultur, Natur, Entspannung und gutem Essen. Wir waren auf eigene Faust mit Bus und Bahn unterwegs und ich versuchte mich in der portugiesischen Sprache. Kurzum: Es ging uns nach zehnmonatiger Krebs-Klinik-Tretmühle wieder richtig gut. Sonja war fünf Jahre alt, aktiv, kreativ und intensiv an allem beteiligt, in jedem Fall hatte sie Spaß. Auch war es ihre erste Flugreise, das ist für Kinder ja immer ein kleiner Höhepunkt. 

Die Krebsbehandlung war kurz vorher mit der letzten Bestrahlung abgeschlossen gewesen. Mir war damals schon klar gewesen, dass die Chemotherapie, welche im Mai 2018 bereits beendet gewesen war, nicht so ganz perfekt angeschlagen hatte. Medizinstatistisch war somit leider schon damals Veronikas Prognose nicht unbedingt schlecht, aber eben auch nicht wirklich umwerfend gut. Sie befand sich in der Nachsorge, was regelmäßige Mammographie- und CT-Termine in kurzen Abständen bedeutete. 

Wir hatten eine enorme Angst vor jedem dieser Termine. Die völlige unbeschwerte Sorglosigkeit war trotz Urlaubsfreuden aus unserem Leben gewichen. Und so blickten wir schon auf dieser Reise ein bisschen verunsichert in den Nebel namens Zukunft, in den der Fluss der Zeit alles treibt. Dieser Nebel hielt sich über unserem Leben ebenso hartnäckig, so wie auf diesem Foto: Es ist am in Sitio de Nazaré entstanden (Link zu Google Maps). Man erwartet an so einer Stelle einen weiten Blick in die Ferne, am liebsten bis nach Amerika. Das Wetter war uns an diesem Tag nicht besonders wohlgesonnen. Veronika und Sonja blicken hier nur in einen hartnäckigen Nebel, der das Ganze fast unwirklich scheinen lässt. 

Die Küste fällt hier steil ab in den fast immer wilden und ungestümen Atlantik. Wenige Meter entfernt befindet sich einer der weltberühmtesten Spots für Extremsurfer, dort finden sich die höchsten Wellen der Welt. Wen es interessiert, kann sich hier bei Galileo weiter informieren. Schwimmen ist an dieser Stelle streng verboten, eben wegen der "Monsterwellen". Wir konnten nicht ahnen, welche lebensgefährliche und am Ende tödliche Welle Veronika noch erfassen würde. Damals, vor fünf Jahren, haben wir es auch ein bisschen verdrängt. Wir genossen einfach die salzige Luft, die Natur und die ungebändigte Kraft des Meeres. Nur zwei Jahre später sollte nichts mehr so sein wie früher. 





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